LOTTE LASERSTEIN 1898 - 1993
Lydia: Liebe Kaj, ich mache mir gerade erste Gedanken zu unserem Lotte Laserstein Text. Ich habe mir das ganze Wochenende ihre Bilder angesehen. Du auch? Kaj: Hello friend, partner in crime, die du wohl auch gerade zu Lotte Laserstein grübelst. Lydia: Ich finde sie schon echt toll. Die Bilder haben etwas ganz Spezielles, was mich sehr zu ihnen hinzieht. Kaj: Natürlich wissen wir, was passiert ist. Ihre Kurzbio würde so beginnen: „Lotte Laserstein wird als Deutsch-Jüdin und Deutsch-Schwedin bezeichnet, sie wurde am 28.11.1898 in Preußisch Holland (Pasłęk, Polen) geboren, beendete 1927 mit Auszeichnungen ihr Studium an der Vereinigten Staatsschule für freie und angewandte Kunst in Berlin Charlottenburg, erfährt schnell Aufmerksamkeit mit ihrer in der Jahresausstellung präsentierten Malerei „Im Gasthaus“, eine Arbeit aus dem Jahr 1927, die von der Stadt Berlin erworben wird...“ Und dann endet die Erfolgsgeschichte, denn keine 10 Jahre später, 1937, wird dieselbe Arbeit als entartete Kunst bezeichnet und ausgestellt, und ist dann lange verschollen. Sie taucht erst 2013 bei einer Auktion wieder auf, da ist Laserstein schon 20 Jahre tot. Ein Portrait einer Frau, es könnte ein Schnappschuss sein, ein Moment aus dem Alltag, ungemein präsent, ein echtes Gegenüber, auch wenn sie in Gedanken ganz woanders ist. Ich bin sicher, du liebst diese Arbeit. Erste Gedanken und Rechercheergebnisse. Ich habe eine wunderschöne Best of Laserstein Liste. Lydia: Ja. Meine Lieblinge aus der Berliner Zeit sind „Im Gasthaus“, 1927, und „Tennisspielerin“, 1929. Und deine? „Im Gasthaus“ gefällt mir so gut, weil ich denke, es ist der Moment, wo man ankommt, sich hinsetzt. Einen neuen Raum betritt und sich aneignet, es ist immer wichtig, das wahrzunehmen. Ich vermute, das war damals ziemlich ungewöhnlich, sich allein als Frau durch die Stadt zu bewegen, um sich freizeitliche Räume anzueignen. Irgendwie hat sie auch etwas Melancholisches, auf jeden Fall nichts so Schrilles, wie das, was ihre Zeitgenoss_innen aus dem damaligen Berlin gemacht haben. In Bezug auf ihre Portraits habe ich ein queeres Begehren an sie, vielleicht weil ich denke, dass es überall eingeschrieben ist und dass es von ihr codiert wurde, obwohl die Kunstgeschichtsschreibenden das gerne immer wieder widerlegen wollen, dass sie lesbisch war. Komisch oder? Ich meine auch gar nicht, dass sie lesbisch sein musste, ich meine, sie hat hinter Gender geschaut und auch gender-fuck betrieben. Für mich ist die Motorradfahrerin eine Butch. Also im Rahmen der Zeit malt sie doch an einem modernen Frauen Bild das sich diametral entgegen dem Bild der aufkommenden nationalsozialistischen Frauenpolitik positioniert. Sie hat fast nur Girls gemalt und allen von ihnen, sich selber eingeschlossen, hat sie eine große Innerlichkeit gegeben, die eine Fülle ausdrücken, im Bild der gemalten Person einen Raum erlauben, einen eigenen, der nicht durch Blicke erobert werden kann, der sich selbstbewusst ausstellt. Vielleicht sogar so was wie Widerstand. Ich empfinde ihre Malerei dadurch als Empowerment. Kaj: Ich frage mich, wo „Im Gasthaus“ wohl über diesen langen Zeitraum, und vermutlich in Privatbesitz, ausgeharrt hat? Und wie lebt es sich mit diesem Bild? Und wie hat Lotte Laserstein gelebt und überlebt? Hat sie dieses Bild vermisst? Diese Lücke fasziniert mich, da sie natürlich mit Leben und einer immensen Produktivität gefüllt ist. Ich bin mir nicht sicher, welche Strategie ich in der Annäherung verfolgen soll. Ich habe das umfangreiche, wenn auch nicht vollständige, 2003 erschienene Werkverzeichnis studiert. Es gibt von ihr 10.000 Arbeiten! Sie hat noch mit 92 Jahren gemalt! Damit also habe ich mich beschäftigt, bald fand ich die Listen der Ausstellungen und Besitztumsdokumente besonders spannend. Vor allem die große Lücke zwischen den Jahren der Herstellung und ersten Präsentation dieser Arbeiten, der offenkundigen Verbreitung in Medien und Erwähnung einzelner Werke,... und dann taucht sie erst 1989 wieder auf. Sie überlebt mit ihrer Malerei und arbeitet weiter. Nach der Flucht entstehen noch an die 9650 Arbeiten, die völlig zu unrecht, wie ich finde, für weniger relevant erachtet werden. Dazu kam mir der Gedanke, dass dieser Werkabschnitt vielleicht eines völlig anderen Blicks bedarf, zeugt er doch von Überleben, self-care, Unabhängigkeit und auch immer noch von Zeitgeist. Gerade die Malerei in den 1960er Jahren, die Porträts der ins Alter gekommenen Freunde. Wer weiß, ob nicht weitere Bilder in Bewegung geraten und am Gefüge Kunstgeschichte arbeiten... Lydia: „Die Tennisspielerin“ ist für mich eine sehr sinnliche Angelegenheit. Ich glaube, sie flirtet, ich fantasiere die Tennisclubs waren super Cruisingspots. Tennis als Hin-und Her des Flirts. Sie schaut auch gar nicht zum Spiel, sondern woanders hin, in ein uns Verborgenes. Ich finde, ihr Blick ist auch wieder sehnsüchtig, als vermisse sie etwas noch nicht Verwirklichtes. Gleichzeitig ist das Bild malerisch sehr beeindruckend. Die ganzen Verflechtungen der Netze, der Schatten, die authentische Pose. Ich bin hin und weg und würde gerne zu ihr auf den Platz. Allerdings liebe ich auch ihre solitäre Position, also bleibe ich lieber hier und genieße meine eigene ebenfalls. Kaj: Ich muss zugeben, dass ich noch kein Original von ihr gesehen habe. Ich glaube, ich bin erst durch dich auf sie aufmerksam geworden. Nun habe ich ihre Bilder also nur im Katalog, oder schlimmer noch, digital studiert. Da lässt sich nicht viel zu Technik, Duktus, malerischen Raffinesse, nicht mal zu Ton bzw. Farbklang sagen. Aber zum Gegenstand. Zum Aufbau, zur Dringlichkeit, Präzision und zu den Beziehungen, die ich sehe, ins Bild rein lese oder auch sehr gut kenne. Ohnehin denke ich, dass ich insbesondere von der Intensität einiger ihrer Figuren und Figurenkombinationen begeistert bin, da dieser Aspekt eben auch in unserer gemeinsamen Arbeit relevant ist. Lydia: Zuerst ist es sicherlich ihre affirmative Porträtkunst, die mich begeistert hat. Alle Personen haben agency, also sind selbstbewusst agierend, haben als Erstes ihre eigene Welt und eine Vulnerabilität, die viel Stärke ausdrückt. Das zählt für mich total viel und ich finde das wird im Laufe ihrer Karriere immer stärker und zeigt sich sehr stark in den Porträts der schwedischen Jahre. Vielleicht ähnlich wie bei Hockney, der auch immer wieder sein Umfeld und seine Freunde porträtiert. Manchmal musste ich auch an Richter denken. Vielleicht wegen der teilweise verschwommenen Öltechnik? Natürlich auch an Lassnig wegen der Selbstbildnisse. Die Porträts sind ja auch immer Zugeständnisse an die Zeit, sie wollte nie wieder nach Deutschland zurück. Ich frage mich wie sie ihr Leben im Exil wahrgenommen hat und möchte dazu noch weiter lesen. Next time! *Kaj xox Lydia Dialog zwischen Kaj Osteroth und Lydia Hamann link zu: Abend über Deutschland von Anna-Carola Krausse |