ROSALBA CARRIERA 1675 - 1757
When faced with the artworks of Rosalba Carriera today, you encounter the people they depict at eye level. Nothing about these pastels feels aged, everything is laid out on the paper as if the artist had just finished drawing. As if the portrait sitting had just ended, and you barely missed the depicted person. Her pictures—usually portraits— possess such a direct freshness that it takes your breath away. Rosalba Carriera was born 1675 as the oldest of three daughters in Venice. Her family lived in modest circumstances, and because Rosalba had a talent for drawing, she received instruction from a befriended painter. She was painting small souvenirs when an Englishman travelling through Italy drew her attention to pastel drawing. Pastels had already been available for a while, but Rosalba’s use of them immediately drew attention, and was to have a strong and long-lasting influence in Europe. Pastel, with its soft matte finish, is the perfect technique for the Rococo period. Fashion was at the climax of stylization. The hairstyles, the jewellery, the fashion were exquisitely sophisticated, and people’s faces were heavily made up and powdered. Therefore Rosalba Carriera rapidly found a large audience with her mastery of pastel painting, and became famous. Everyone wanted a portrait drawn by her, and her success took her beyond Venice, making her work coveted all over Europe. Her books of commissions were full, she drew the portraits of important and influential personalities. In Paris she had her greatest successes, and the whole world lined up to be drawn by her. Among others, she met her colleague Antoine Watteau there, of whom she also created a portrait. She was now a popular artist at the important aristocratic courts of Europe, and Fredrick Augustus II of Saxony was so enthralled that he bought up her entire oeuvre. Owing to this there is a major, fabulous collection of works by Carriera in Dresden, which is on view until today. Rosalba Carriera never married and worked closely together with her sister. After her sister’s death, it seems Rosalba Carriera lost her zest for life. She suffered from an eye problem, which forced her to give up her work, and later caused her to go completely blind. At 82, in 1757, Rosalba Carriera died in Venice. When you view pictures by Rosalba Carriera—particularly in Dresden—you experience a direct encounter with people from the Rococo period, who could hardly seem more foreign in all of their powdered and passé fashion. These portraits are depictions of humans whose personalities converge with the representation of a system and their status within this system. The stylized images are meant to show the individual and her or his status in society as a kind of flattering snapshot. At a very first glance, the mask-like aspects of the make-up, the wigs and the unwieldy fashion immediately place them in the era of long-ago Rococo. All the more wonderful it is that Rosalba Carriera and her use of pastel drew pictures of people who are really right in front of us, whose body heat can almost be felt beneath the face powder. We notice that it is precisely the artificiality that intrinsically connects us with this time and these people. The face—especially in times of facebook—continues to be the surface of representation and projection of the so-called individual, whose personality is made from a blend of status and body heat. Rosalba Carriera succeeds in showing us which ingenuity and building blocks are needed, then just like today, to manufacture the image of a person. Her true art lies precisely in sketching for us how we must recreate this image ourselves, through the natural and the artificial, the unique and the generic. Christian Schwarzwald |
ROSALBA CARRIERA 1675 - 1757
Sieht man sich heute den Arbeiten von Rosalba Carriera gegenüber, dann begegnet man den dargestellen Menschen auf Augenhöhe. Nichts an den Pastellen wirkt gealtert, alles steht so auf dem Papier als wäre die Künstlerin gerade mit dem Zeichnen fertig geworden. So als wäre die Sitzung soeben zu Ende gegangen und man hat knapp noch die dargestellte Person verpasst. Ihre Bilder – meist Porträts – sind von einer derart unmittelbaren Frische, dass es einem den Atem nimmt. Rosalba Carriera wurde 1675 als älteste von drei Töchtern in Venedig geboren. Die Familie lebt in bescheidenen Verhältnissen, und weil Rosalba Zeichentalent besitzt, lernt sie bei einem befreundeten Maler. Sie bemalt kleine Souvenirs, als sie von einem durchreisenden Engländer auf die Pastellmalerei aufmerksam gemacht wird. Pastelle gibt es schon eine Weile, aber wie Rosalba sie einsetzt, erregt gleich zu Beginn grosse Aufmerksamkeit und hinterlässt noch lange eine grosse Spur durch ganz Europa. Das Pastell in seiner sanften Mattigkeit ist die perfekte Technik im Zeitalter des Rokoko. Die Mode erreicht einen Höhepunkt an Stilisierung. Die Frisuren, der Schmuck, die Kleidung sind von ausgesuchter Raffinesse und die Gesichter der Menschen sind stark geschminkt und gepudert. So findet Rosalba Carriera mit ihrer Meisterschaft in der Pastellmalerei rasch ein grosses Publikum und erlangt Berühmtheit. Jeder möchte sich nun von ihr zeichnen lassen, und ihre Erfolge bringen sie aus Venedig heraus und machen ihre Arbeit in ganz Europa begehrt. Ihre Auftragsbücher sind voll und sie porträtiert wichtige und einflussreiche Persönlichkeiten. In Paris feiert sie ihre grössten Erfolge, und die Welt steht Schlange, sich von ihr porträtieren zu lassen. Unter anderem lernt sie dort auch ihren Kollegen Antoine Watteau kennen, von dem sie auch ein Porträt anfertigt. Sie ist nun eine begehrte Künstlerin an den wichtigen Adelshäusern in ganz Europa, und Friedrich August II von Sachsen ist so begeistert, dass er ihre ganze Produktion aufkauft. Diesem Umstand verdanken wir die dichte und grossartige Sammlung von Arbeiten Carrieras in Dresden, die heute dort zu sehen sind. Rosalba Carriera bleibt unverheiratet und arbeitet eng mit ihrer Schwester zusammen. Nach deren Tod scheint für Rosalba Carriera alle Freude dahin. Sie leidet an einem Augenleiden, das sie zwingt, ihre Arbeit aufzugeben, und sie später vollständig erblinden lässt. Mit 82 Jahren stirbt Rosalba Carriera 1757 in Venedig. Wenn man – vor allem in Dresden – die Bilder von Rosalba Carriera sieht, trifft man direkt auf Menschen aus dem Rokoko, die einem in ihrer ganzen gepuderten und vergangenen Mode eigentlich nicht ferner sein könnten. Diese Porträts sind Darstellungen von Menschen, deren Persönlichkeiten mit der Repräsentation eines Systems und ihres Standes in diesem System zusammenfallen. Die Abbilder in ihrer Stilisierung sollen das Individuum und dessen Status in der Gesellschaft als eine Art vorteilhafter Schnappschuss zeigen. Das Maskenhafte der Schminke, die Perücken und die umständliche Mode schreibt sie auf den ersten Blick in die Aktualität des lange vergangenen Rokoko ein. Umso grossartiger ist es, dass Rosalba Carriera mit ihrer Pastelltechnik Bilder von Menschen entwirft, die uns tatsächlich ganz direkt gegenüberstehen, und deren Körperwärme man unter dem Gesichtspuder zu ahnen scheint. Wir merken, dass gerade die Künstlichkeit etwas ist, das uns wesentlich mit dieser Zeit und diesen Menschen verbindet. Das Gesicht - gerade in Zeiten des grossen Gesichtsbuchs (Facebook) - ist weiter die Repräsentations- und Projektionsfläche des sogenannten Individuums, dessen Persönlichkeit aus einem Mix aus Status und Körperwärme hergestellt wird. Rosalba Carriera gelingt es, uns zu zeigen, welche Raffinesse und welche Bausteine man damals wie heute benötigt, um das Bild eines Menschen zu fertigen. Ihre grosse Kunst liegt genau darin, uns vorzuzeichnen, wie wir uns durch das Natürliche mit dem Künstlichen und das Einzigartige mit dem Allgemeinen selbst dieses Bild neu erschaffen müssen. Christian Schwarzwald |